Musik und Mental Health: Interview mit Michael Wecker
Das Thema Musik und Mental Health ist für uns sehr wichtig, darum haben wir den ausgebildeten Psychologen und Berater Michael Wecker, der am Dienstag, 27. November bei uns einen Workshop zum Thema Performance und Stress geben wird, vorab ein paar Fragen gestellt.
1. Wie begann Dein Interesse am Thema Musik und Mental Health?
Ich beschäftige mich schon seit 2010 mit dem Thema (psychische) Gesundheit und Arbeit. Aber mit dem Thema Musik und Mental Health tatsächlich erst seit knapp 2 Jahren. Musik als Beruf ist ja eben auch Arbeit, mit bestimmten Anforderungen und Besonderheiten (so wie andere Berufe wieder andere Anforderungen und besondere Bedingungen haben).
2. Am 27. November gibst du bei uns einen Workshop mit dem Titel „Top Performance ohne Stress“. Kannst du uns einen kleinen Einblick geben, worüber du sprechen wirst? Warum hast du dieses Thema gewählt?
Ich trete selbst als Musiker seit fast 20 Jahren auf, mal mehr mal weniger, aber in der letzten Jahren schon sehr regelmäßig. Dabei ist mir als Musiker aufgefallen, dass ein Auftritt eine krasse Stress-Situation ist, und oft vieles, was man im Proberaum oder zu Hause super "runter spielen" kann beim Auftritt dann doch nicht so klappt. Kleinigkeiten können einen aus dem Konzept bringen und das vermindert dann oft, dass man leider nicht seine Top-Leistung auf die Bühne bringt. Das ist für's Publikum und natürlich für einen selbst schade, oft hat man lange auf den Auftritt hin gefiebert. Seine Songs intensiv geübt zu haben ist natürlich wichtig, aus meiner eigenen Erfahrungen weiß ich aber, dass es noch ein paar andere "Stellschrauben" gibt, mit denen man sein individuelles Anspannungs- und Stresslevel an den Auftritt anpassen kann. So dass man hoffentlich eine bessere Leistung abrufen kann. Meine Erfahrungen als Psychologe sind dabei für die Zusammenhänge von Stress und Leistung schon sehr hilfreich.
In meinem Workshop werden wir zuerst ein Hintergrundwissen zum Thema Stress und Leistung, bezogen auf Bühnensituationen, besprechen. Danach werden wir unterschiedliche und individuelle Techniken zur Veränderung des Stresslevels erarbeiten.
3. Du bist ein ausgebildete Psychologe und Berater: welches sind Deine Hauptkompetenzen und wie können Berliner Musiker*innen und Kreativschaffende mit dir in Kontakt treten?
Ich arbeite in unterschiedlichen Bereichen, aber für den Music Pool Berlin als Experte für die Themen Mental Health, Psychologie, Stress, Leistung, Lampenfieber etc.
Musiker*innen, die an diesen Themen interessiert sind können sich beim Music Pool melden. Dann kann man schauen ob ein Workshop dafür geeignet ist, oder ein individuelles Coaching passender.
Da ich seit über 9 Jahren Menschen bezüglich ihrer beruflichen Entwicklung und zu beruflichen Fragestellungen berate, ist das sicher eine meiner Kompetenzen. Als ausgebildeter Psychotherapeut habe ich natürlich eine Menge Erfahrungen zu allen möglichen Themen im Bereich psychische Gesundheit gemacht. Und ich glaube als selbst seit langem tätiger Musiker kenne ich viele der Situationen, mit denen Musiker*innen konfrontiert sind.
4. Mit welchen Kunden beschäftigst du dich normalerweise: aufstrebende Musiker*innen oder Personen, die seit einiger Zeit in der Branche tätig sind? Gibt es einen durchschnittlichen Altersbereich?
Ich beschäftige mich im Moment eher mit jungen Musiker*innen. Als Psychotherapeut habe ich aber auch schon Künstler*innen und Musiker*innen behandelt, die in ihrer Karriere fortgeschritten waren.
5. Was sind nach Deiner Erfahrung die häufigsten psychischen Probleme, mit denen Menschen, die mit Musik zu tun haben, sich beschäftigen?
Die Herausforderungen von selbstorganisiertem Arbeiten inklusive der Fragen, wie motiviere ich mich, wie plane ich mein musikalisches Projekt, wie stehe ich "Durstphasen" durch, wie balanciere ich Networking, Arbeit an musikalischen Fähigkeiten und die Arbeit am konkreten musikalischen Projekt aus. Dann gibt es da das wichtige Thema Zweifel an dem gewählten Weg, inklusive der dort auftretenden Hürden, vielleicht auch Zweifel bezüglich des eigenen "Talents", was auch immer das dann sein mag. Die hohe Konkurrenz und der damit verbundene Leistungsdruck, das Fehlen eines eher vorgezeichneten bzw. absehbaren Weges, den es in anderen Berufen durchaus gibt (z. B. bei Lehrern oder wenn man eine Ausbildung macht) haben natürlich auch ihre Auswirkungen. Der ein oder andere empfindet das Fehlen dieser "Absehbarkeit" des beruflichen Weges sicher positiv, z. B. als Form von Freiheit. Mit zunehmendem Alter und den sich daraus ergebenden Veränderungen mag es sein, dass man darauf eine andere Perspektive gewinnt.
Dann gibt es natürlich noch das wichtige Thema Bühne und Auftritt: Das besondere ist aus meiner Sicht, in einer Situation extremer Beobachtung eine Leistung abrufen zu können. Dabei gibt es keine "Rückspieltaste" oder eine Möglichkeit etwas zu wiederholen. Vor so einer Situation kann man schon Respekt haben und das beschäftigt glaube ich schon sehr viele Musiker*innen, obwohl das unter (Pop-)-Musiker*innen noch wenig offen besprochen wird. Im Bereich Klassische Musik, der sicher auch etwas andere Anforderungen hat, wird die Diskussion dagegen schon etwas offener geführt.
6. Denkst Du, dass die Probleme von Musiker*innen zu Beginn ihrer Karriere anders sind als die von etablierten Künstler*innen?
Im Großen und Ganzen gibt es schon gewisse Unterschiede. Ich glaube jeder Mensch braucht Feedback zu seiner Arbeit: Also das ist gut gelaufen, das weniger etc. Bleibt das aus oder gibt es da "Störungen", arbeitet man sozusagen ins Leere hinein, man weiß nicht, ob man auf dem richtigen Weg ist. Zusätzlich wird es dann irgendwann schwierig, sich zu motivieren. Musiker*innen die am Anfang stehen bekommen oft wenig positives und konstruktives Feedback: Entweder sind sie erst noch dabei, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, oder das Feedback ist wenig differenziert. Das Publikum oder auch Freunde haben oft einen ganz anderen Blickwinkel, nehmen andere Dinge als wichtig war als man selbst als Musiker*in. Später in einer erfolgreiche Karriere gibt es aus meiner Sicht das Risiko, sich in einer Blase zu bewegen, wo man oft nur noch undifferenziert-positives Feedback bekommt. Ich denke Selbstzweifel über den eingeschlagenen Weg und das sogenannte "Talent" beschäftigen viele Musiker*innen manchmal über den ganzen Weg. Am Anfang natürlich ganz besonders, später steigen aber auch die eignen Erwartungen und Verpflichtungen.
7. Musiker*innen, besonders am Anfang ihrer Karriere haben normalerweise wenig Geld, und psychologische Hilfe ist oft teuer. Was würdest Du jemandem empfehlen, der unter psychischen Problemen leidet und nicht über viel Geld verfügt ?
Sollten die Probleme soweit gehen, dass sie einen Krankheitswert haben, dann ist das ein Fall für die Krankenkassen. In Deutschland gehören psychotherapeutische Behandlungen glücklicherweise zur gesundheitlichen Grundversorgung und sind damit kostenlos.
In Berlin kann man hier recherchieren wo man einen zugelassenen Behandler findet: www.kvberlin.de
Leider weigert sich die Politik die psychotherapeutische Versorgung and den tatsächlich vorhandenen Bedarf anzupassen, daher muss man mit mehreren Monaten Wartezeit rechnen bis eine entsprechende Behandlung tatsächlich los geht. Es gibt aber auch viele kostenlose Selbsthilfegruppen für unterschiedlichste Problembereiche. Da wird man aber sicher auf Leuten treffen, die mit dem Musikbusiness nichts zu tun haben. Das könnte aber unter Umständen auch ein hilfreicher Perspektivwechsel sein. Natürlich ist eine Selbsthilfegruppe aber nicht für jedes Problem geeignet.
Anmerkung von Music Pool: An der HdPK gibt es eine für alle Musiker*innen offene Sprechstunde, die sogenannten Pop Ambulanz. Eine öffentlich geförderte Beratung in Kooperation mit der Charité Berlin. Die nächsten Termine sind der 12. Dezember 2018 und der 16. Januar 2019 jeweils 15-18 Uhr bei Prof. Dr. med. Alexander Schmidt. Anmeldung unter: pop-ambulanz.hdpk [at] srh.de. Mehr Informationen dazu unter: www.hdpk.de/de/forschung/popambulanz/
8. Musik und Mental health sind ein Thema, über das die Medien in den letzten Jahren viel geredet haben: Ist es nur ein momentaner Trend, oder fangen wir endlich an, das Ende der Stigmatisierung der psychischen Gesundheit zu sehen?
Unsere Arbeit und unsere Gesellschaft hat sich extrem verändert. Früher hat der Großteil der Menschen in körperlich stark belastenden Berufen gearbeitet. Das ist nicht mehr so. Die berufliche Realität für die allermeisten Menschen sieht inzwischen so aus, dass wechselnde Anforderungen, mehr oder weniger Verantwortungsspielraum, Zeitdruck, soziale Anforderungen und immer wieder kehrende Umstrukturierungen der Arbeitssituation die hauptsächlichen Stressoren sind. Das hat erstmal wenig Auswirkungen auf unseren Körper aber viel mehr auf unsere Psyche, die damit umgehen muss. Gleichzeitig setzt sich langsam das Bewusstsein durch, dass krank nicht gleich krank ist: Ein gebrochenes Bein ist ja auch etwas ganz anderes als eine Asthmaerkrankung.
Und so sind (beruflicher) Perfektionismus und soziale Ängste z. B. auch zwei unterschiedliche Themen die man unterschiedlich verstehen sollte, und daher auch unterschiedlich behandeln kann. Hier ist die Wahrnehmung in der Bevölkerung viel differenzierter geworden. Ich glaube also, dass das kein Trend ist, sondern hier größere gesellschaftliche Veränderungen im Hintergrund stehen, die das Thema psychische Gesundheit immer mehr in den Vordergrund rücken. Eben die gesellschaftlichen Veränderungen und eine Zunahme von Wissen zu diesem Bereich. Gleichzeitig sehe ich die Gefahr, dass einige Bereiche "überpsychologisiert" werden können. Niedergeschlagenheit, Motivationsprobleme, Ängste etc. gibt es in jedem Lebenslauf und jeder Mensch hat erstmal einige Bordmittel dabei, damit umzugehen. Wann "normale" Probleme in schwerwiegende und krankheitswertige umschlagen ist aber leider manchmal schwer zu sagen, und oft holen sich diejenigen, die am meisten Hilfe brauchen, diese am seltensten.
9. Der erste Schritt ist immer der schwierigste: Hast Du Vorschläge, wie man die Angst vor dem Bitten um Hilfe überwinden könnte?
Wir Menschen denken immer aus unserer eigenen, individuellen Perspektive, denn nur die haben wir ja zur Verfügung. Oft denken wir, dass die Dinge die wir im Leben erleben und manchmal auch erleiden ganz spezielle Erfahrungen sind, die nur wir gemacht haben.
Ich glaube das ist grundfalsch. Den allergrößten Teil der Dinge, die wir erleben machen andere auch, der eine mehr der andere weniger. Sich das immer wieder vor Augen zu führen kann einem helfen, sich jemand anders gegenüber - Fachperson oder nicht - zu öffnen. Ich kann davon ausgehen, dass der andere mit dem ich spreche Vergleichbares erlebt hat.